Alkohol, oh Alkohol. Menschen reagieren bekanntermaßen unterschiedlich auf dich. Im Allgemeinen heißt es, dass Kinder und Betrunkene die Wahrheit sagen – und dass sich unter Alkoholeinfluss der wahre Charakter zeigt.
Manche werden aggressiv, andere sentimental. Ich gehöre zu denen, die grundsätzlich alle lieb haben – egal ob Freund, Feind, Mann oder Frau. Liebe ist für alle da, und wenn ich getrunken habe, habe ich euch alle lieb.
Leider neige ich auch zur Sentimentalität und zu Selbstvorwürfen. Es ist jedoch nicht so, dass ich mich in eine Ecke setze und anfange zu heulen oder mich selbst bemitleide. Nein, ich sage oft Dinge, die ich im nüchternen Zustand nicht aussprechen würde. Dinge, vor denen ich Angst habe – vor den Konsequenzen oder vor Ablehnung. Also fresse ich sie lieber in mich hinein.
Das kann in zwei Richtungen führen – entweder positiv oder negativ. Ein Mittelding gibt es da selten. Hmm.
Heute hatte ich noch eine halbe Flasche Jack Daniel’s auf dem Tisch stehen – ein Geschenk von meiner Mutter zu Ostern. Bezogen auf die “Erleuchtungen”, die mir diese Flasche beschert hat, war es wohl ein gutes Geschenk.
Hach, worauf wollte ich eigentlich hinaus? Vielleicht sollte ich noch einen Schluck nehmen…
Ah, richtig. Das Thema Karlsruhe steht nach wie vor ganz oben auf meiner Liste für 2017 – auch wenn ich trotz eines großartigen Vorstellungsgesprächs eine Absage erhalten habe. Aber was sagt mir das? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Rückschläge gehören dazu. Wichtig ist nur: nicht entmutigen lassen!
Alles, was mir nicht guttut, muss weg. Ich kann mir keine Bremsen leisten – egal ob emotional oder auf irgendeiner anderen Ebene. Rücksicht? Hm, wer nimmt schon Rücksicht?
Freunde…? Hm. Ich habe einen guten Freund, eigentlich meinen besten Freund. Oder zumindest einer der wenigen, bei dem ich dachte: Der versteht mich auch ohne Worte. Der weiß, wie weit er gehen kann – und vor allem, was ich ertragen kann.
Kürzlich habe ich mit jemand anderem über ihn gesprochen. Ich habe versucht zu erklären, warum ich so enttäuscht von ihm bin und momentan eigentlich nichts von ihm wissen will. Der andere konnte es verstehen, weil wir uns schon lange kennen – mehr oder weniger zumindest. Er weiß auch, dass wir uns gern gegenseitig aufziehen. Bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls.
Es gibt jedoch eine Sache – nur eine einzige –, bei der ich keinen Spaß verstehe. Einfach, weil sie mich emotional extrem belastet. Sie wirft mich jedes Mal von einem Hochgefühl brutal auf den Boden zurück. Und das richtig hart.
Ich bin nicht nur enttäuscht von dem, was er gesagt hat. Vielmehr davon, dass ich dachte, er müsste es eigentlich besser wissen.
Mein anderer Kollege meinte, dass er bestimmt weiß, was er falsch gemacht hat. Aber wir seien eben beide Sturköpfe und erwarten, dass der jeweils andere den ersten Schritt macht. Wahrscheinlich hat er recht.
Doch letztendlich bin ich immer derjenige, der den ersten Schritt macht. Der alles klären will, der Dinge wieder einrenkt – auch dann, wenn es objektiv keinen Sinn mehr ergibt.
Mich hat mal jemand gefragt, warum ich das eigentlich immer tue, obwohl ich vorher gesagt habe, dass es “für mich erledigt” sei. Gute Frage.
Vielleicht, weil ich tief drin immer noch Hoffnung habe. Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wenden kann. Dass Menschen irgendwann so denken wie ich – dass sie verstehen, was in mir vorgeht und warum ich so bin, wie ich bin.
Aber ehrlich gesagt? Ich glaube nicht, dass es solche Menschen gibt.
Warum bin ich so?
Weil ich nichts vergesse. Im Gegenteil. Ich erinnere mich an jeden Mist. Auch an banale Details. Und genau das ist es, was mich belastet – bewusst und unterbewusst. Ich mache mir selbst Vorwürfe. Ich mache anderen Vorwürfe. Und verstehe nicht, warum man mich nicht versteht.
Dabei ist die Antwort oft ganz einfach.
Ich werde es mal mit einem Beispiel verdeutlichen:
Person A sagt etwas Blödes oder verhält sich mir gegenüber respektlos – zumindest empfinde ich es so. “Normale” Menschen vergessen sowas nach kurzer Zeit. Wahrscheinlich sogar Person A selbst. Aber ich? Ich vergesse es nicht. Nie. Kein bisschen.
In meinem Kopf bleibt es gespeichert. Wochen. Monate. Jahre. Und weil ich davon ausgehe, dass sich Person A genauso gut an alles erinnert, kann ich nicht nachvollziehen, warum sie mich nicht versteht. Oder warum sie meine Reaktion nicht einordnen kann. Ich erwarte also zu viel – weil ich zu viel erinnere.
Ein anderes Beispiel? Oft schreiben mich Leute auf Steam an. Ich habe über hundert Kontakte dort. Und dann kommt dieser Satz: “Weißt du noch, wer ich bin?” Natürlich weiß ich das. Ich weiß, was unser letztes Gespräch war, woher wir uns kennen, sogar welche Musik du magst – und ob du mir mal erzählt hast, dass du aus Niedersachsen kommst.
Für mich ist das normal. Für andere ist es scheinbar seltsam. Und ich verstehe nicht, wie man sich nicht erinnern kann. Ich vergesse nicht – weder belanglose, noch wichtige Dinge. Und genau deshalb fällt es mir schwer, zu akzeptieren, dass andere das können.
Ich weiß, es klingt irgendwie seltsam. Aber das bin ich. So ticke ich. Ich bin dieser Typ, der sich an jedes kleine Detail erinnert – selbst wenn es bedeutungslos scheint.
Versteht ihr, worauf ich hinaus will?
“Ein Therapeut kann dir helfen, deine Probleme zu bewältigen.” Klar, sagen viele. Aber für mich ist das nichts Neues. Ich brauche niemanden, der alte Erinnerungen ausgräbt, um mir eine Erleuchtung zu verschaffen wie: “Ach, deshalb bin ich also so…” – denn das weiß ich längst.
Ich erinnere mich an alles. An das Gefühl, als meine erste Freundin Schluss gemacht hat. Den Geschmack meines allerersten Biers. An die erste Zigarette. Den ersten Joint. Natürlich nicht an jeden einzelnen Zug danach – aber an das erste Mal? Glasklar. So wie bei vielen anderen vermutlich auch.
Nur: Bei mir bleibt es nicht bei den großen Momenten. Ich erinnere mich auch an Kleinigkeiten. An scheinbar belanglose Sätze. Den Gesichtsausdruck meines besten Freundes, nachdem er mit meiner Ex geschlafen hatte. An das “Nein danke” beim ersten Kussversuch. An das Lächeln kurz vor dem ersten Korb.
Ich weiß, warum ich heute so bin, wie ich bin. Ich weiß, wie sich alles entwickelt hat – und ich mache mir selbst ständig Vorwürfe. Denn eigentlich müsste ich es doch besser wissen.
Ist das dumm? Vielleicht.
“Wir sind die Summe unserer Erfahrungen…” – pff.
Vielleicht ist das alles auch nur eine Ausrede. Vielleicht will ich manchmal einfach, dass jemand genau diese Worte sagt: “Ich verstehe dich.”
Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht mehr daran. Nicht wirklich. Vielleicht hatte ich früher noch Hoffnung, aber mit der Zeit… keine Ahnung. Ich rede, schreibe, denke – aber im Grunde weiß ich doch, dass niemand so tickt wie ich. Und das ist keine Überheblichkeit. Es ist einfach nur eine Feststellung.
Ich erwarte zu viel. Analysiere zu viel. Ich erinnere mich an zu viel. Und manchmal wünsche ich mir, es wäre anders. Einfach weniger. Leichter. Schneller zu vergessen. Einfacher zu vergeben. Loszulassen. Nicht alles auf die Goldwaage zu legen, nicht jeden Moment, jedes Detail im Gedächtnis abzuspeichern wie eine Art inneres Logbuch.
Manchmal wünschte ich, ich wäre einfach wie die meisten anderen.
Aber das bin ich nicht. Und das werde ich auch nie sein.
Also bleibt nur eins: irgendwie einen Weg zu finden, damit umzugehen. Und vielleicht – nur vielleicht – gibt es ja irgendwann jemanden, der nicht sagt: “Ich verstehe dich”, sondern einfach da ist. Wortlos. Ohne Erklärungen. Ohne große Erwartungen. Einfach da.
Und vielleicht reicht genau das.
Mehr Gedanken in ähnlichem Stil findest du übrigens auch in diesem Beitrag über den Sommer in Paris oder im Rückblick auf den „Hassmonat August“.