Als ich mit 30 meine Bürojobs an den Nagel gehängt habe und zur Post gegangen bin, lag das hauptsächlich daran, dass mir mein damaliger Arzt empfohlen hatte, etwas an der frischen Luft zu machen, um meinen Depressionen zu entfliehen. Er meinte, dass es mir guttun würde, mit Menschen zu arbeiten und den ganzen Tag draußen unterwegs zu sein.
Scheinbar hatte er recht. Ob es am Umgebungswechsel lag oder tatsächlich am Job, weiß ich bis heute nicht. Aber es ging mir besser. Die Leute freuten sich, mir zu begegnen, zeigten Vertrauen, gaben Trinkgeld und Anerkennung. Als Postbote in Bayern gehörte man dazu – zumindest in ländlichen Regionen. Kein Wunder, dass viele Kollegen von der Ausbildung bis zur Rente blieben.
Die Bezahlung war mies – für die teuerste Region Deutschlands erst recht. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Die Menschen schätzten, dass ich ihre Post brachte.
Der Anfang vom Ende
Mit der Zeit lernte ich dazu und wollte irgendwann Standortleiter werden. Ich sagte meinem Vorgesetzten Bescheid, dass er mir bitte sagen soll, sobald die Stelle als Stellvertreter ausgeschrieben wird. Monate vergingen. Nichts geschah. Dann die Meldung: Unser Teamleiter macht weiter – es hätte sich ja niemand beworben. Wie bitte? Wann wurde die Stelle ausgeschrieben?
Später erfuhr ich, dass das Ganze absichtlich unter den Tisch gefallen war – er hatte Angst, seine Position zu verlieren.
„Wir hätten dich gerne als Teamleiter gehabt, Eric – du bist noch einer der Wenigen mit Herz.“
Rückblickend war das mein innerer Bruch. Ich war enttäuscht. Innerlich hatte ich gekündigt. Wer das kennt, weiß: Danach macht man nur noch das Nötigste.
Trotzdem hielt ich durch – wegen der Kundschaft, wegen der Nachbarn, wegen der Menschen. Vielleicht würde es ja nochmal eine Chance geben, dachte ich.
Corona und der Umbruch
Dann kam Corona. Kein persönlicher Kontakt mehr. Keine Gespräche. Keine Menschlichkeit. Und das, was mich motivierte, war plötzlich weg.
Die Menschen wurden undankbarer. Alles wurde selbstverständlich. Trinkgeld? Fehlanzeige. Der Onlinehandel explodierte, die Post ging unter, das Personal war am Limit. Kündigungen ohne Ende – wegen struktureller Katastrophen.
Ich wollte nicht aufgeben. Also reduzierte ich meine Stunden. Statt ganz zu gehen, machte ich halbtags weiter – mit Nebenjob.
Am Gehalt änderte sich kaum was – und die Lebensqualität stieg. Dennoch wurde schnell klar: Es wird nie wieder wie früher.
Vom Boten zum Belasteten
Ich wechselte zur Biokiste. Statt Briefe lieferte ich Gemüse. Und plötzlich war sie wieder da – die Dankbarkeit. „Bitte“, „Danke“, ein Lächeln.
Aber auch dort kam die Keule. Meine Touren wurden größer. Ich hatte fast doppelt so viele Stopps wie die anderen. Warum?
„Weil du es kannst, Eric – die Guten kriegen eben mehr.“
Ich wurde bestraft, weil ich gut war. Mehr Arbeit, kein Cent mehr Lohn. Ein bekanntes Muster.
Ironie und Selbstschutz
Nach dem Logistik-Desaster landete ich zufällig im Fintech. Ironischer Haufen, genau mein Vibe. Ich verstand sofort, warum alle so abgestumpft waren. Es war ein Schutzschild. Sarkasmus als letzte Bastion gegen den Verdruss gegenüber der Menschheit.
Die Arbeit selbst? Okay. Das Team? Mega.
Nach einem halben Jahr gab’s die Selbstevaluation. Ich bewertete mich hoch – weil es auch der Realität entsprach. Mein Vorgesetzter bestätigte das.
Dann sagte er den Satz, der sich eingebrannt hat:
„Ich musste dich runterstufen – nicht weil ich das anders sehe, sondern weil andere Abteilungen dich sonst wegschnappen.“
Ich verstand. Es war nicht böse gemeint. Aber es zeigte mir, dass ich nie wachsen würde – zumindest nicht dort.
Und da ich nicht mehr alles runterschlucken will, ließ ich meinen Vertrag auslaufen. Keine Entfristung. Keine Gehaltserhöhung.
Ein neuer Versuch
Heute starte ich neu. Wieder einmal. Und ja – das war die Einleitung. Wie immer bei mir lang, emotional und voller Umwege. Aber nötig, damit man versteht, worauf ich hinauswill.
Wertschätzung ist für mich alles. Vielleicht liegt’s an der Kindheit. Vielleicht am Autounfall. Vielleicht an beidem. Ich arbeite daran, zu akzeptieren, dass ich gut bin – auch wenn ich’s eigentlich längst weiß.
Und bevor ich abschweife – morgen vielleicht mehr zu dem Thema, über das ich eigentlich schreiben wollte.
In diesem Sinne: Danke fürs Lesen. Vielleicht habt ihr ja ähnliche Erfahrungen gemacht – schreibt’s in die Kommentare.
Julia Schreck 24. August 2024
Hey Eric, aus irgendeinem Grund lese ich gerade um 4:00 Uhr morgens hier deinen Artikel, nachdem ich deinen Blog vorhin auf der Suche nach Hochsensiblen-Content durch Zufall über ein Bloggerportal entdeckt habe. Liest sich wie Butter und dein Schreibstil erinnert mich auch stark an meine eigenen Tagebucheinträge – wie eben direkt aus dem Herzen geschrieben. :) Werde deinen Blog mal weiter durchstöbern. <3 Danke, dass du deine Gedanken hier teilst.
Zu deinem Artikel:
Es ist leider so, dass die Gesellschaft nicht so authentisch und ehrlich ist wie wir ‘Special People’ es sind. Früher dachte ich, dass andere Menschen insgeheim auch so denken und fühlen wie wir, es nur aus versch. Gründen, ggf. von außen, nicht immer zeigen. Heute weiß ich, dass viele gar nicht bemerken, was sie eigentlich mit anderen Menschen emotional anstellen und sie wollen es eigentlich auch gar nicht bemerken, da es in einem erfolgreichen Job heute auch gar nicht nötig ist, Mitgefühl zu zeigen und authentisch zu sein. Dabei lassen sie außer Acht, dass genau DAS eigentlich das ist, was uns zu Menschen macht und, was ja bei dir auch immer wieder als ‘Pluspunkt’ erwähnt wird. Und am Ende wird es dann eiskalt ausgenutzt.
Daher sollten wir HSPs beruflich immer wieder in regelmäßigen Abständen, genau wie du, als Selbstschutz sachlich reflektieren, wo wir stehen und wie es uns dabei geht. Eigentlich traurig, dass sowas nötig ist, aber allein mit Vertrauen geht man in der Welt der Extrovertierten einfach unter.
Und cool, dass du (auch) bei der Post gearbeitet hast. Ich hatte vor 2 Jahren auch mal ernsthaft überlegt, Briefträger zu werden im Quereinstieg, bin dann aber glücklicherweise auf mit eine der bisherige besten Stellen überhaupt für mich gestoßen: den Job im Meldeamt einer Kleinstadt. Ich liebe es! Man trifft sen ganzen Tag Menschen, die Leuten sind größtenteils dankbar für deine Arbeit, es ist einfach super abwechslungsreich und man fühlt sich sinnvoll. :)
So, und, bevor ich nun schreibe bis die Sonne bei mir wieder aufgeht, ziehe ich hier einen Schlussstrich.
Sommerliche Grüße und bleib so authentisch wie du bist!
Julia aus Tauberfranken
Eric 24. August 2024 — Autor der Seiten
Hi, Julia erstmal danke für deine ausführliche Antwort. Kommt hier tatsächlich eher selten vor, dass sich Leute zu den Beiträgen direkt äußern.
Aber freut mich natürlich, dass es bei dir gut ankommt.
Gibt bestimmt noch das ein oder andere “Butterbrötchen” hier auf der Seite, wobei sich das über die Jahre natürlich entwickelt hat.
Finds gut, dass du was gefunden hast, was dir liegt. Ich bin mir tatsächlich mal wieder nicht so schlüssig.
Mit dem Thema “HSP” hab ich mich noch gar nicht so beschäftigt, vielleicht sollte ich das auch mal machen und lande dann nachts um Vier auf irgendeinem Blog von irgendsoeinem Typen, der seine Gedanken in die Welt trägt…
Wenn ich mal aufs Meldeamt bei dir muss, sag ich eben hallo :)
In diesem Sinne, gute Nacht oder ehm guten morgen?
Eric