Es gibt diese Menschen, mit denen du monatelang keinen Kontakt hast – und trotzdem fühlt sich alles nach zehn Sekunden wieder vertraut an. Kein Warmwerden, kein „Na, lange nichts gehört“, kein Drama. Nur ein „Bist du endlich online, du Lappen?“ und es passt.
So jemanden hab ich auch.
Wir kennen uns seit der ganzen Alicante-Vorbereitungsphase, also grob zehn Jahre. In der Zeit bin ich einmal quer durchs Land gezogen, erst nach Bayern, dann nach Niedersachsen. Wir sehen uns so gut wie nie. Kein regelmäßiger Stammtisch, keine gemeinsamen Urlaube, kein „Wir müssen unbedingt mal wieder…“ – das passiert einfach nicht. Und trotzdem ist da diese Konstante.
Wenn wir es schaffen, uns zu sehen, gibt’s Kaffee. Wenn nicht, gibt’s Discord.
Unsere Gespräche bestehen zu 99 Prozent aus Beleidigungen und komplett bescheuerten Sprüchen.
Standard-Einstieg:
„Wie geht’s deiner Mutter, der Hure?“
„Du kannst mir mal einen blasen.“
„Halt die Fresse!“
Das Niveau ist im Keller, und genau da soll es auch bleiben.
Wenn wir mal nach „dem Tag“ fragen, dann nicht, um ernsthaft darüber zu reden, sondern eher als Running Gag:
„Na, wie war die Arbeit?“ – „Beschissen wie immer.“ – „Dann kündige doch.“
Ende der Analyse. Nächste Runde.
Von außen betrachtet wirkt das wahrscheinlich komplett belanglos. Zwei Typen, die Rocket League oder irgendein Coop-Spiel starten, sich gegenseitig anschnauzen, weil wieder jemand das offene Tor verpasst hat, und zwischendrin Sprüche klopfen, für die du in jeder HR-Abteilung direkt rausfliegen würdest.
Zwischen diesem ganzen Müll steckt aber mehr, als man von außen sieht.
Für mich sind diese Abende so eine Art inoffizielle Therapiesitzung. Keine Praxis, kein Wartezimmer, keine Nummer ziehen. Nur Headset auf, Spiel starten, fertig. Routine. Runterfahren. Gemeinsam irgendwo sein, ohne wirklich irgendwo sein zu müssen.
Da ist keine Erwartungshaltung. Er fordert nichts ein, ich fordere nichts ein. Niemand ist beleidigt, wenn man mal ein paar Tage oder Wochen nicht schreibt. Kein passiv-aggressives „Du meldest dich ja nie“ – wir sind beide erwachsen genug zu wissen, dass der Alltag manchmal einfach alles auffrisst.
Genau nach solchen Menschen wähle ich meinen Freundeskreis aus. Ich mag Leute, die mitdenken. Die sich mit sich selbst auseinandersetzen können. Die nicht bei jedem kleinen Rückzug sofort Drama daraus machen. Menschen, die einfach da sind – auch dann, wenn sie gerade nicht da sind.
Und ja, natürlich könnte man sagen: „Es ist doch nur Zocken.“ Aber wenn ich abends durch bin, der Tag lang war, der Kopf laut, dann ist „nur Zocken“ manchmal ziemlich viel. Dann ist es ein sicherer Raum, in dem ich nicht erklären muss, warum ich müde bin. Wo ich nicht die starke Version von mir spielen muss. Wo es okay ist, einfach zu sagen: „Heute ist alles scheiße“, ohne dass daraus eine Grundsatzdiskussion über das Leben wird – oft reicht eh ein „halt die Fresse und join“.
Wir reden nicht tiefgründig im klassischen Sinne. Wir wühlen nicht in Kindheitstraumata oder machen Beziehungsanalyse. Unser „Tiefgang“ steckt eher in der Selbstverständlichkeit, mit der der andere da ist. In dem Wissen, dass du dich melden kannst, wenn alles brennt – auch wenn ihr die restliche Zeit nur auf Kindergarten-Niveau kommuniziert.
Diese Abende helfen mir, runterzukommen. Sie ziehen mich aus dem Hamsterrad, das im Kopf ständig weiterläuft. Sie erinnern mich daran, dass Freundschaft nicht immer laut sein muss. Dass Nähe nicht an Kilometer gebunden ist. Und dass echte Vertrautheit manchmal genau in diesen völlig überzogenen Beleidigungen steckt – weil du weißt, dass sie von jemandem kommen, der es nie so meint.
Vielleicht hast du auch so einen Menschen in deinem Leben. Jemanden, den du ewig nicht siehst und der trotzdem sofort da ist, wenn es darauf ankommt. Jemanden, mit dem du eher lachst, zockst, dumme Sprüche klopfst – und der genau dadurch dafür sorgt, dass du nicht komplett auseinanderfällst.
Falls ja: meld dich mal wieder. Nicht, weil du musst. Sondern weil es gut tut.