Samstagmorgen in Entebbe ist Markt. Nicht „vielleicht, wenn wir Lust haben“, sondern so ein fester Punkt im Kalender, wie bei anderen Leuten der Wocheneinkauf. Meine Verlobte hat das nach dem Frühstück ganz selbstverständlich gesagt: Sie will mit mir hin, damit ich sehe, wie das läuft. Und erst später habe ich verstanden, warum sie ausgerechnet Entebbe dafür gewählt hat. Im Vergleich zu dem, was mich ein paar Tage danach in Kampala erwartet hat, war das hier fast schon ruhig. Damals wusste ich das natürlich noch nicht.

Wir haben etwas außerhalb geparkt und sind zu Fuß rüber. Im ersten Moment hing ein seltsamer Geruch in der Luft, so nach verbranntem Zeug, als würden irgendwo Leute irgendwas entsorgen. Aber je näher wir dem Markt kamen, desto mehr wurde das überlagert von etwas komplett anderem: Obst, frische Kräuter, Gewürze, dieser süßlich-grüne Geruch von „hier liegt gerade wirklich Essen in der Luft“. Und dann war es plötzlich da: Bewegung, Stimmen, Stände, Planen am Boden, improvisierte Dächer, überall Waren. Nicht geschniegelt, nicht kuratiert, sondern einfach da, weil Menschen davon leben und weil Menschen es brauchen.

Edna war sofort in ihrem Modus. Und mit Modus meine ich nicht „gestresst“, sondern fokussiert. Sie hat nicht geguckt, wo es was gibt. Sie wusste es. Keine Umwege, kein „mal schauen“, kein Zögern. Sie steuert, jemand nickt, kurze Worte, ein Griff, eine Tüte, weiter. Das war für mich einer der ersten Momente, in denen ich sie wirklich als Teil dieses Systems gesehen habe. Nicht als die Person aus Videocalls, sondern als die, die hier ganz selbstverständlich ihren Alltag organisiert.
Als erstes sind wir zu ihrem Metzger in eine Markthalle. Und da war mein Kopf kurz sehr deutsch. Nicht, weil jemand „eklig“ wäre oder weil ich irgendwas schlechtreden will, sondern weil es eine andere Selbstverständlichkeit ist.
Fleisch wird dort vor Ort geschnitten, gehackt, angepackt, eingetütet. Keine sterile Theke, kein Abstand, kein Ritual drumherum. Es passiert einfach. Praktisch, direkt, ohne Theater. Ich habe gemerkt, wie schnell mein Gehirn automatisch eine „Hygiene-Checkliste“ abspult und gleichzeitig, wie wenig das vor Ort überhaupt Thema ist, weil die Regeln anders sind: gekocht wird ordentlich, gegessen wird frisch, viel läuft über „heute kaufen, heute nutzen“. Und nur als Randnotiz, weil das bei sowas sofort im Hinterkopf aufpoppt: Mir ging es die ganze Zeit gut. Kein Magen, der rebelliert. Das Thema Essen kommt später nochmal ausführlicher, aber an dem Punkt war es für mich erstmal nur interessant zu beobachten, wie sehr mein eigener Standard wie eine Brille ist, die man nicht mal merkt, bis sie plötzlich nicht mehr passt.



Danach ging es weiter: Reis, Waschmittel, Früchte, Kleinkram. Ich weiß nicht mehr jede einzelne Sache, aber ich weiß noch das Gefühl: Es war viel. Und es ging schnell. Gezahlt wurde fast immer bar, direkt auf die Hand. Kein „Moment, ich hol noch den Beleg“, kein Piepen, kein Terminal. Und genau da hat es bei mir Klick gemacht, weil Kaufen plötzlich wieder näher dran ist an Menschen. Du gibst Geld nicht an eine anonyme Kasse, sondern an jemanden, der dich anschaut, der dich nächste Woche wieder erkennt, der davon lebt.
Klar, es gibt auch Supermärkte. Es gibt Malls, Ketten, moderne Läden, das ganze „wie bei uns“-Setup. Aber der Markt und diese Straßenkäufe wirken nicht wie Folklore, sondern wie Standard. Nicht nur, weil es günstiger sein kann, sondern weil es logisch ist: lokal, direkt, kurze Wege, Beziehungen statt Systeme. Und wenn ich ehrlich bin, hat mir genau das auch gefallen. Du unterstützt damit nicht irgendeine Firma, sondern Menschen vor Ort, sichtbar, greifbar, ohne Umweg. Und auf einmal war „Markt“ für mich nicht mehr dieses deutsche Bild von „nett, aber teuer“, sondern eher das Gegenteil: Der Ort, an dem Alltag wirklich stattfindet.
Edna verhandelt dabei nicht wie in irgendwelchen Filmen oder Reels, sondern so, wie jemand verhandelt, der jede Woche da ist: kurz, klar, ohne Show. Und das war auch mein Eindruck vom Markt insgesamt: Vieles ist informell, aber nicht chaotisch. Ware liegt oft auf Planen am Boden, Mengen werden nach Bechern, Stück oder Augenmaß gemacht, es ist nicht „geeicht“ wie bei uns und trotzdem funktioniert es, weil alle die Spielregeln kennen. Nicht perfekt, aber stabil.

Ich war währenddessen langsamer. Nicht körperlich, aber im Kopf. Edna ist gelaufen wie ein Pfeil, ich wie ein Scanner. Ich habe geschaut, wer wie spricht, wer wie winkt, wie freundlich Dinge angeboten werden, wie schnell ein Nein akzeptiert wird. Ich wurde ein paar Mal angesprochen, auch von Kindern, die helfen wollten, die Tüten zu tragen. Einer hat sogar ausdrücklich gesagt, dass er dafür kein Geld will, er will einfach helfen. Und ich merke beim Schreiben, wie ehrlich ich da sein muss: Ich habe nichts aus der Hand gegeben. Nicht aus Arroganz, sondern aus so einem reflexhaften Misstrauen, das ich selbst nicht schön finde. Kopfkino: „Was, wenn er wegrennt?“ Ich habe alles selbst getragen. Und genau sowas ist eben auch ankommen: Du bringst deine Muster mit. Du weißt, dass ein Kind dir gerade Hilfe anbietet und trotzdem reagierst du erstmal mit Kontrolle.
Eine Szene ist mir besonders hängen geblieben. Ein kleiner Junge kam näher, hat mich angeschaut und ist mir dann vorsichtig über den Arm gefahren. Nicht grob drübergewischt, sondern vorsichtig, fast neugierig-respektvoll. Und ich kannte diesen Moment plötzlich von der anderen Seite. Als mein Schatz damals bei meinem Vater war, hat ein kleines Kind auch mal über ihre Haut gestrichen. Nicht böse, sondern weil es das noch noch nie schwarze Haut gesehen hatte. Das war einer dieser stillen Spiegel-Momente: Auf einmal bist du nicht mehr „normal“, sondern „anders“ und zwar ohne Drama, einfach als Tatsache.

Edna hat an dem Tag nicht nur für uns eingekauft. Ein großer Teil war für Kinder aus ihrer Familie, um die sich ihre Mutter kümmert. Und da wurde mir nochmal klar, wie viel Alltag dort an Verantwortung hängt, die bei uns oft ausgelagert ist. Hier ist „ich kümmere mich“ nicht nur ein Satz, sondern ein System: Essen, Kleinigkeiten, Schulzeug, Geld für dies und das. Sie hat ihnen auch ein bisschen Cash gegeben, damit sie selbst Dinge besorgen können. Nicht, weil sie sich drücken will, sondern weil „mit Geld umgehen lernen“ nicht als Theorie funktioniert, sondern über Praxis. Und während ich noch versucht habe, alles zu sortieren, war sie längst beim nächsten Punkt.
Nach dem Markt haben wir das Auto waschen lassen. Wir hatten unter einem Baum geparkt, der irgendwelche weißen Tropfen runtergelassen hat. Keine Ahnung, was das war, aber das Auto sah aus, als wäre es komplett zugeschissen. Also sind wir zu einem Waschplatz gefahren, wo Leute das Auto für dich per Hand waschen. Und da kam wieder eine Seite von meiner zukünftigen Frau durch, die mich gleichzeitig amüsiert und beeindruckt: Sie ist freundlich, aber sie ist auch konsequent. Scheibe runter, kurzer Ton, klare Ansage: Bewegung, Tempo, sie hat nicht den ganzen Tag Zeit. Als die Jungs fertig waren, hat sie nochmal nachgelegt. Nicht beleidigend, eher wie jemand, der will, dass Leute ihren Job ernst nehmen. Und dann fiel sinngemäß dieser Satz, der auch so viel über sie sagt: „Wenn ihr euch mehr bemüht, könnt ihr auch mehr verdienen. Nicht rumeiern.“
Danach sind wir noch kurz rumgefahren, bevor es persönlicher wurde. Wir sind erst zu einer Verwandten, um ein Kind abzuholen und allein da habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, europäische Kategorien wie Cousine, Tante, Schwester sauber drüberzustülpen. Viele sagen einfach „Sister“, auch wenn es nicht die leibliche Schwester ist. Für mich ist das ungewohnt, weil ich gerne klar benenne. Für sie ist das normal, weil die Beziehung zählt, nicht das Etikett.
Und irgendwo zwischen Markt, Cash auf die Hand, Planen am Boden, Waschplatz und klaren Ansagen hat sich bei mir ein Gefühl festgesetzt, das schwer in einen Satz passt: Ich habe sie an einem Ort erlebt, der nicht für mich gebaut ist. Ihr Rhythmus, ihre Leute, ihre Wege. Und ich habe gemerkt, wie schnell mein Kopf automatisch bewertet und wie gut es tut, genau da langsamer zu werden und erstmal nur zu schauen.
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